Egal, ob sich Züchter auf Schautauben, Brieftauben oder Rassen mit einer besonderen Flugleistung spezialisieren, sie alle betonen gerne ihre große Leidenschaft für Taubenvögel. Wer hinter die Fassade schaut, stellt jedoch fest, dass diese Leidenschaft kaum dem Wohl von lebenden Kreaturen gilt, sondern schlicht und ergreifend vom Ehrgeiz, mit den eigenen Tieren ein besseres Ergebnis als der Wettbewerb zu erzielen, geleitet ist. Nicht von ungefähr spricht man vom Brieftauben- oder Flugtaubensport.
Für den Taubensportler zählt, ob eine Taube besonders wertvoll ist oder zumindest genügend Potenzial zeigt, dass es sich lohnt, weiter in sie zu investieren oder ob sie ein Versager ist, von der man sich besser trennt. Im Zuchtprozess bleiben grundsätzlich immer nur die Tiere, die sich bewährt haben. Nieten werden in der Regel verschenkt, geschlachtet oder sonst wie euthanasiert .
In den Lehrbüchern für Taubenhalter kannst Du genau nachlesen, wann wie zu verfahren ist, um gesetzte Zuchtziele zu erreichen Dabei gelten vor allem die Prinzipien: Tauben gezielt verpaaren, optimieren (durch Futter und Training) und selektieren. Können solche Prinzipien überhaupt mit Respekt vor dem Leben und Tierliebe in Einklang gebracht werden? Wohl eher nicht, denn Taubenzüchter setzen die gleichen Prioritäten wie jeder andere Züchter von Nutztieren.
Tauben züchten, selektieren und ausmerzen heißt die Devise
Oft beginnt die Auslese schon bei Nestlingen, deren Optik, Wachstum oder andere Eigenschaften Mängel aufweisen. In der Züchteranleitung „Tauben halten“ von Heinrich Mackrott (Ulmer Verlag) steht es schwarz auf weiß geschrieben (von mir leicht geändert):
“ Von Tauben mit Fehlfarben sollte man sich trennen, da sie ihr Zuchtziel nie erreichen werden. Sie verbrauchen nur unnötig Futter. Zuchttiere die nach Beendigung des Zuchtjahres ausscheiden, sollten ausgemerzt werden. Tiere mit krummen Brustbeikämmen, schlechten Hauben, unerwünschter Haltung…zu geringer Größe, müssen ausscheiden, um Besseren Platz zu machen.“
Selektionen werden auch in größerem Umfang durchgeführt, spätestens dann, wenn die Reisesaison vorbei ist und die Züchter ihren Winterbestand regulieren wollen. Schon aus wirtschaftlichen Gründen heißt das Motto: Lieber einen kleinen aber feinen Taubenbestand halten, als einen großen Bestand, bei dem das Mittelmaß auch durchgefüttert werden muss. Kaum anders verhält es sich beim Aussortieren von Schautauben oder Kunstflugtauben.
Was eigentlich für sportliche Aspekte und Liebhaberei?
Den Umgang vieler Züchter mit fühlenden Kreaturen verabscheue ich zutiefst. Hier geht es nicht um das lebende Individuum, sondern lediglich Ansprüche an ein gesetztes Leistungsniveau. Die Praxis unterscheidet sich keinen Deut von Hühnerfarmen in der Fleischindustrie – aber im Gegensatz dazu nur aufrund von persönlicher Gier nach Preisen, Pokalen und Verkaufserlösen.
Dass Ende April 2018 das sogenannte „Brieftaubenwesen in Nordrhein-Westfalen“ – trotz massiver Proteste von Taubenvereinen und Tierrechtlern – als immaterielles Kulturerbe empfohlen wurde, kann man aus ethischen Gründen in keinster Weise nachvollziehen. Klüngel und Filz zwischen dem Verband und Entscheidern haben sicher eine führende Rolle gespielt.
Aussetzen von Tauben als Alternative zum Kochtopf
Es gibt sicher auch weniger rigorose Taubenhalter, die selektierte Tauben zwar loswerden aber dennoch am Leben lassen möchten. Manchmal wird der Ausschuss im Internet verscherbelt oder auch einfach in einen Wagen gepackt, irgendwo ausgesetzt und ihrem Schicksal überlassen. Viele Tiere haben allerdings überhaupt keine Erfahrung mit der freien Natur. Sie verhungern und werden Opfer von Räubern – manche hingegen finden vielleicht auch Anschluss an verwilderte Stadttauben – womit sich ein Kreislauf in der Taubenproblematik schließt.
In Düsseldorf wie in jeder deutschen Großstadt, wo verwilderte Tauben unterwegs sind, kann man die Herkunft vieler Tiere noch gut erkennen. Dazu nehmen nur die wenigsten Züchter wirklich Stellung. Genauso einfach macht es sich Verband der Taubenzüchter, der weist jede Schuld am Populationszuwachs und der Taubenproblematik weit von sich – stattdessen beruft man sich dort auf die Erkenntnisse von Daniel Haag-Wackernagl & Co. und empfiehlt das Fütterungsverbot in deutschen Städten. Zynischer geht es kaum.
Zuflüge von Reisetauben erhöhen ebenfalls die Population der Stadttauben
Jedes Jahr, wenn die Saison im Brieftaubensport läuft, verlieren Tausende von Reisetauben die Orientierung – sei es aufgrund von schlechten Wetterbedingungen, wegen Panik nach einem Greifvogelangriff oder als Folge von totaler Erschöpfung. Viele verenden irgendwo, andere, die mehr Glück haben, stranden in Städten und finden dort Anschluss an Stadttauben, wo sie bald auch einen neuen Partner suchen, um zu brüten.
Am stärksten betroffen sind in NRW wahrscheinlich die Städte im Ruhrgebiet – eine der Hochburgen des deutschen Brieftaubensports. Das folgende Aufnahme von 2018 zeigt ein Beispiel aus Düsseldorf.
Die Züchter lehnen auch in diesem Zusammenhang jede Verantwortung ab, an der Vermehrung der Stadttauben beteiligt zu sein. Stattdessen verweisen sie auf die Registrierung der Tauben, die Kontaktadressen auf der Beringung und auf die Pflicht, dass jede zugeflogene Brieftaube gemeldet wird, auch selbstverständlich abgeholt wird. Leider ist eher das Gegenteil ist der Fall. Viele Züchter reagieren nicht. Sie sehen nicht ein, noch Geld und zeit in eine Taube zu investieren, die die geforderte Leistung nicht erbracht hat und „eh nur noch als Suppe“ taugt. Wer jemals Züchtern hinterher telefoniert hat, kennt sicher diesen Spruch.
Dieses Beispiel von 2017 ist ebenfalls ein guter Beleg die gängige Praxis:
(Video im erweiterten Datenschutzmodus aktiviert)
Weiterführende Links zum Thema der Seite:
Züchter zur Empfehlung: Brieftaubenwesen als immaterielles Kulturerbe