Tauben gelten als Boten Gottes und Symbol des Friedens. Im Christentum repräsentieren sie den Heiligen Geist und sind ein Pfingstsymbol. In unserer Gesellschaft herrscht hingegen, und das seit Jahrzehnten, eine Doppelmoral, die für mich unerträglich ist.
Einerseits sind da kraftvolle Reisetauben, die ihren Besitzern Ruhm, Ehre und vor allem fette Prämien einbringen sollen. Und Zier- und Rassetauben, nahezu lebensunfähig gezüchtet, die einzig allein den Ego-Plan ihrer Besitzer erfüllen müssen. Ansonsten werden sie gnadenlos entsorgt. Manche als Futtertiere. Andere werden ausgesetzt und ihrem Schicksal überlassen. Sind sie stark genug, überleben sie einige Zeit als Stadttauben, als Ratten der Lüfte, die alles vollkacken und böse Krankheiten verbreiten. Viele schaffen es aber nicht soweit, weil sie nie lernten, in freier Umgebung eigenständig genug Nahrung zu finden und sich gegen die Konkurrenz durchzusetzen. Auch wegen besonderer Zuchtmerkmale, die sich in der ungewohnten Umgebung oft als bedrohliche Handicaps erweisen.
Ein solches Taubenschicksal entdeckte ich zufälligerweise am Fürstenplatz. Mit Federn belatschte Füße, überlange Schwanzfedern, die Körperhaltung gleich einer Kropftaube.
Während der lokale Schwarm seine Runden flog, saß sie da, verlassen, mit geschlossenen Augen, direkt vor der Wiese, wo sich ein paar Jungs einen Fußball zukickten. Die Körner, die ich ihr zuwarf, holten sie förmlich zurück aus fernen Taubenträumen und weckten ihren Überlebensgeist. Sie pickte und pickte und pickte. Dennoch war sie schwach, so schwach, dass ich sie ohne den geringsten Ansatz von Fluchtverhalten mit der Hand aufnehmen und nach Hause bringen konnte. Leicht wie eine Feder war sie. Deutlich unter 200 Gramm! Wegen des üppigen Zuchtgefieders sah man das Gerippe darunter nicht. Ich konnte es fühlen und erahnen, wie lange sie ohne Futter und Wasser durchgehalten haben musste.
Die gestrige Nacht kämpfte sie tapfer ums Überleben. Trotz eines extremen Durchfalls stand sie morgens aufrecht und begrüßte noch einmal den Tag. Ich machte einen Termin bei der Tierärztin und brach frühzeitig auf, um stressfrei nach Garath zu kommen. Noch im Zug stand die Taube im tapfer aufrecht und zeigte sich neugierig. Dreißig Minuten später verließen sie ihre letzten Kräfte. Alle Versuche, sie zu vitalisieren, scheiterten. Keine Chance.
Im Wartezimmer begann bereits die Sterbebegleitung, sie endete auf dem OP-Tisch, nach einer erlösenden Spritze. Nun ist ihr Leiden vorbei. Doch für mich bleibt der Schmerz, das wieder miterleben zu müssen, vor allem mit dem Wissen, dass sich da draußen kaum etwas ändern wird.
Rest in peace! Du tapfere kleine Taube!