Offener Brief an den Oberbürgermeister Thomas Geisel und die Stadt Düsseldorf:
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Geisel,
die Corona-Krise trifft nicht nur die Menschen in Düsseldorf, sie bringt unendliches Leid zu den städtischen Kulturfolgern – dazu gehören vor allem unsere Stadttauben.
Zeigen Sie bitte in dieser kritischen Situation auch Herz für diese hilflosen Geschöpfe, welche ohne ausreichende Hilfe und Fürsorge von Menschen unter den momentanen nicht eigenständig überleben können!
Als Soforthilfe-Maßnahme bietet sich an, sofern ein generelles Aussetzen des Fütterungsverbots nicht möglich ist, wenigstens kontrollierte Futterstellen zu erlauben, damit von der Stadt beauftragte Tierschützer und freiwillige Helfer die Stadttauben mit artgerechtem Futter versorgen können!
Auf diese Weise kann man der im Folgenden beschriebenen Notlage der Düsseldorfer Stadttauben entgegenwirken.
Lesen Sie dazu auch bitte dazu den folgenden Aufruf:
Deutscher Tierschutzbund fordert Fütterungsstellen
Ich bedanke mich bei Ihnen für Ihr Interesse und freue mich auf Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Wolf-Reinhart Kotzsch
Die Einschränkung des öffentlichen Lebens durch die Corona-Regeln bestimmt das Stadtbild Düsseldorfs. Nahezu menschenleere Straßen, geschlossene Restaurants und vereinsamte Imbissbuden. Menschen, die unterwegs sind, erledigen oft nur das Nötigste.
Covid-19 hat unser Leben fest im Griff: Die Düsseldorfer treiben im Freien nur Sport oder tanken bei einem Spaziergang frische Luft und Sonne. Das war’s dann auch. Gänzlich gestrichen sind Frühstück und Kaffeklatsch auf den Terrassen und natürlich die gewohnten Thekentouren am Wochenende. Die Menschen verzichten aus Angst vor Ansteckung auf Fastfood in der Altstadt. Burgerreste, Salami oder Pommes sind quasi verschwunden. Was bleibt da noch?
Ein apokalyptisches Bild wie in „Die Vögel“
Auf erschreckende Weise präsent sind weiterhin die Stadttauben, die sich nun an bestimmten Stellen der Stadt in immer größerer Zahl zusammenfinden. Dort warten sie. Dort laufen sie oder fliegen nervös hin und her. Andere picken auf auf der der Stelle in den Boden, wieder andere kauern schon mit aufgeplusterten Gefieder vor sich hin. Gespenstische Bilder, die dem eine Betrachter nur eine düstere Vorahnung können, denn es ist nur die Ruhe vor dem Sturm.
Sobald einige in ihrer Verzweiflungen anfangen im Geröll zu suchen, kommen sogleich immer mehr dazu und spielen verrückt.
Dieses Verhalten hat nichts damit zu tun, dass Tauben zur besseren Verdauung auch Grit aufnehmen.
Alfred Hitchcock lässt grüßen
Denn dann: Sobald sie einen bekannten Menschen erkennen, bricht das Chaos aus. Selbst vorsichtige Tauben verlieren alle Hemmungen. Ich selbst wurde mehrfach schon Auslöser eines solch dramatischen Ereignisses. Tauben fliegen panisch von allen Seiten direkt auf mich zu. Auf die Schulter. Auf den Kopf. Sie versuchen Halt an der Kleidung zu finden. Oder sie krallen sich in der Baumrinde fest.
Wer einmal die „Die Vögel“ von Alfred Hitchcock gesehen hat, wird sich bestimmt an die gruseligen Szenen gut erinnern können. Doch das, was sich in den leeren Straßen und Parkanlagen abspielt, sind die Thriller-Sequenzen aus einer realen Tragödie, die sich in Düsseldorf und vielen anderen Städten Deutschlands gleichermaßen stattfindet. Erst recht nun seit COVID-19.
Im Internet findet man diverse Berichte, die explizit auf die durch Corona enorm eskalierte Notsituation der Stadttauben hinweisen – dazu zwei Beispiele:
Tauben in Nürnberg droht der Hungertod
Peta Aufruf an den OB in Düsseldorf
Fütterungsverbot und Futterentzug durch Corona
In einem Antwortschreiben der Stadt Schweinfurt an eine besorgte Tierfreundin las ich, dass durch den Corona-bedingten Futterentzug endlich dass schon jahrelang bestehende Futterungsverbot greifen würde und die Tauben nun gezwungen seien sich außerhalb der Stadt artgerechte Futterquellen zu suchen. Was für ein Blödsinn! Stadttauben suchen keine entlegenen Futterquellen. Sie können es gar nicht. Der Mensch hat sie einst in seinen Lebensraum geholt, gezüchtet und genutzt.
Grundsätzlich ist die Stadttauben-Problematik als ein Problem anzusehen, dass von Menschen verursacht wurde.
Stadttauben sind domestizierte Tiere. Trotz der Verwilderung leben sie weiterhin in Abhängigkeit vom Menschen. Ursprünglich natürliche Verhaltensweisen sind die Jahrtausend lang praktizierte Domestikation verloren gegangen, diese können sie sich nicht einfach wieder aneignen.
Das bedeutet: Selbst in größter Not bleiben die meisten Tauben standorttreu. Auch in größter Not wird die Futtersuche nur in einem beschränkten Radius stattfinden.
Auch muss in diesem Zusammenhang wieder betont werden, dass Futterentzug kaum Einfluss auf das Brutverhalten hat. Selbst mit leeren Kröpfen werden Tauben nicht weniger brüten. Dieses Verhalten haben Züchter so weit optimiert, dass Tauben viele Male in einem Jahr nisten und brüten. Der Mangel an Nahrungsgrundlagen bewirkt lediglich, dass massenhaft Küken und Jungtauben verenden.
So schlimm ist die Situation in Düsseldorf
Die Szenarien, die im Düsseldorfer Hofgarten an unterschiedlichen Stellen entstanden, waren zwar nicht bedrohlich wie im besagten Kino-Thriller von 1964, jedoch stimmten sich mich nur unendlich traurig.
Bei Alfred Hitchcock blieb das rätselhafte Verhalten der Vögel ungeklärt. In Düsseldorf sind die Gründe offensichtlich: Hungerpanik und Verzweiflung. In den ganzen Jahren, die ich in Düsseldorf als Streetworker für Stadttauben unterwegs bin, habe ich derartiges noch nicht erlebt.
Schluss mit dem Fütterungsverbot in Düsseldorf!
In Düsseldorf befinden sich schon jetzt tausende von Stadttauben in einem Notstand. Durch einen dauerhaften Futterentzug kann das Verdauungssystem der Vögel so zu Schaden kommen, dass sie qualvoll verenden müssen. In der aktuellen Corona-Situation führt ein Aufrechterhalten des Fütterungsverbots zum Massensterben der im Raum Düsseldorf beheimateten Stadttauben.
Um die drohende Katastrophe zu verhindern, nämlich, dass die hungernden Stadttauben in ähnlicher Weise wie vor einem halben Jahr am ISS Dome nach und nach ihre Kraftreserven verlieren und massenweise sterben, müsste das bestehende Füttererungsverbot in Düsseldorf jetzt dringend aufgehoben werden – wenigstens so lange wie die Corona-Regeln für die Menschen gelten!