Basler Taubenpest – was soll das sein?

Seit einigen Tagen kursiert eine Vielzahl von nahezu identischen Berichten über eine  „Taubenpest“, (dem Virus Pigeon-Paramyxovirus PMV-1 zugeordnet), die  in Basel ausgebrochen sei.

Als Quelle diente eine Veröffentlichung des Basler Gesundheitsdepartements vom 22.04.2020. Gewarnt wurde vor einer unheilbaren Infektionskrankheit, die bei betroffenen Tauben meistens schnell zum Tode führen würde. Typische Symptome wären halbseitige Lähmungen der Flügel und Beine. Auch Menschen könnten sich infizieren. Allerdings würde die Krankheit lediglich zu grippalen Symptomen und/oder einer Bindehautentzündung führen. Besonders kritisiert das Gesundheitsdepartement auch die Fütterung von Stadttauben aufgrund des Corona-Shutdowns:

„Von Aufrufen auf Social Media-Kanälen zur Fütterung von Stadttauben wegen angeblicher Futterknappheit im Zuge des Coronavirus-Lockdowns wird aus seuchenpolizeilichen Gründen dringend abgeraten. Einerseits herrscht keine Futterknappheit im öffentlichen Raum“

Die – durchaus bestehende – Futterknappheit wurde – wieder einmal – abgestritten. Alternative Futterquellen nannte man nicht.

„Füttern sei auch für die Tauben schädlich“, begründete man damit, dass benannte Futterstellen sowohl infizierte auch auch gesunde Tauben anzögen, die sich dort infizieren könnten. Das kann passieren, jedoch leben Stadttauben in Schwärmen, die sich nicht nur bei der Futteraufnahme versammeln – sondern beispielsweise auch an Schlafplätzen etc. Insofern kann die Verbreitung einer Infektion vielerorts stattfinden.

Die explizite Nennung von Futterstellen als Infektionsherd lässt mich vermuten, dass hier der Basler Biologe Daniel Haag-Wackernagel, der selbst in Basel viele Experimente mit Futterentzug durchführte, passende Argumente beisteuerte. Solche las man auch kürzlich  in Deutschland in zwei kurz hintereinander erschienenen

Spiegel-Artikeln.

Die meisten der Berichte aus der Schweiz geben den Kerninhalt des Gesundsheitsdepartements in sehr ähnlichem Wortlaut wieder. In einigen wird die Taubenpest aber auch mit Zoonosen in Verbindung gebracht – wie beispielsweise in der

bz basel

Das Problem von Infektionskrankheiten, die zwischen Tier und Menschen übertragen werden können, werde immer grösser. Beispiele für solche Zoonosen waren die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit, die Schweinegrippe, die Vogelgrippe, SARS und auch COVID-19.

Auf mich wirkt das alles wie eine PR-Kampagne, die im Prinzip nichts Neues präsentiert, aber gezielt ein Thema medienwirksam ausschlachtet, für das die Menschen in Basel und der Schweiz seit der Corona-Pandemie besonders empfänglich sind. Welche Infektion und Gefahren verbergen sich denn nun hinter der Taubenpest?

Taubenpest = PMV-1

Laut Gesundheitsdepartement wurde bei an erkrankten Tauben das Pigeon-Paramyxovirus PMV-1 nachwiesen. Bei dieser Infektion ist es allerdings falsch zu behaupten, dass sie in dem meisten Fällen tödlich verlaufe. Auch wurden die hierfür typischen Symptome für mein Empfinden viel zu ungenau beschrieben.

Bei an PMV-1 erkrankten Tauben zeigen sich häufig zentralnervöse Störungen. Die Vögel verrenken Hals und Kopf, manchmal zu einer Sterngucker-Haltung und drehen im Kreis. In extremen Fällen können sie kein Futter mehr aufpicken oder es kommt vorübergehend zu Lähmungen, weshalb eine Zufütterung per Sonde erforderlich wird.

Durch Tauben, die an Pramyxovirose erkrankten, wurde meines Wissens bislang auch keine Ansteckungsgefahr nachgewiesen. Ich selbst habe zahlreiche PVM-Tauben eingesammelt und wochenlang zu Hause versorgt. Gesundheitliche Probleme bekam ich dadurch nicht. Auch von anderen Endpflegestellen für Tauben ist mir nicht ein Fall von grippalen Beschwerden oder Bindehautentzündungen durch PMV-1 bekannt. Von daher halte ich diese Gefahr  eher für hypothetisch.

Was einseitige Lähmungen bei Tauben und die Übertragbarkeit auf Menschen betrifft, könnte nicht auf PMV-1, sondern die Newcastle-Krankheit zutreffen. Möglicherweise wurden vom Autor des Berichts hier Krankheitsbilder verwechselt und vermengt.

Newcastle-Krankheit und Ornithose

Bei der Newcastle-Disease (ND) handelt es um eine weltweit vorkommende, hoch kontagiöse Infektionskrankheit, ausgelöst durch aviäre Paramyxoviren des Serotyps-1 (APMV-1), auch als Newcastle disease Virus (NDV) bezeichnet. Sie führt beim Geflügel zu hohen Verlusten und wirtschaftlichen Schäden. Es besteht eine gesetzliche Impfpflicht für Hühner und Puten. Da die Krankheit wiederum der Vogelgrippe ähnelt, heißt sie auch atypische Geflügelpest.

Auch die sogenannte Papageienkrankheit (Ornithose = Chlamydien-Infektion) könnte beim Menschen zu grippalen Symptomen führen. In einem Standardwerk über Taubenkrankheiten (Werner Lüthgen) wird die Ornithose von Tauben zwar  als infektiös aber aber auch harmlos für den Menschen beschrieben (Seite 256).

Die Expertenmeinung zur Taubenpest in Basel

Um sicher zu gehen, wandte ich mich an die Berliner Tiermedizinerin Frau Dr. Almut Malone. Sie schrieb mir folgende Zeilen:

Für APMV ist der Begriff „Taubenpest“ komplett unzutreffend, denn die“ Geflügelpest“ wird von Influenzaviren verursacht („Vogelgrippe“), während die Newcastle Disease des Geflügels (PMV-1) laienhaft „Pseudopest“ genannt wird. Fakt (nicht meine Beurteilung) ist also: es gibt gar keine auf den Menschen übertragbare „Taubenpest“.

Die Aussage, aPMV-1 könne auf Menschen übertragen werden, stammt aus dieser Dissertation (Institut für Virusdiagnostik des Friedrich-Loeffler-Instituts)  auf Seite 8:

https://edoc.ub.uni-muenchen.de/10677/1/huthmann_eva.pdf

In der Praxis findet man dazu aber keinen einzigen dokumentierten Fall, so dass es sich um eine rein hypothetische Möglichkeit handelt, die sich bei hygienischem Arbeiten außerdem ohnehin nicht realisiert:

 Erreger von-zoonosen in deutschland im2016 (PDF)

Da die Ansteckungsphase von PMV-1 im klinisch unauffälligen Stadium liegt, scheidet eine erkrankte Taube von der Straße zu dem Zeitpunkt, an dem man sie in die Hand bekommt, in aller Regel ohnehin schon keine Viren mehr aus.

PMV kann auch beim Vogel vollständig ausheilen, allerdings schädigen die Viren oder Entzündungsprodukte in allen untersuchten Fällen den Herzmuskel und führen zu dauerhafter, beim Vogel nicht behandelbarer Herzinsuffizienz, so dass diese Tauben nicht mehr freigesetzt werden dürfen, da sie keine Chance mehr hätten, vor einem Raubvogel zu fliehen. Das gleiche gilt für andere Infektionen mit neurologischer Beteiligung, wie Salmonellen, aggressive E. coli-Bakterien, Ornithose, Aspergillose, etc. In einer Voliere ohne Stress sind diese Tauben hingegen völlig unauffällig.

Das sog. „Drehen“ darf ohne Nachweis auf keinen Fall mit PMV gleichgesetzt werden. Viele andere in Frage kommende Erreger wären ggf. therapierbar, werden aber im Gegensatz zu Paramyxoviren weiter ausgeschieden, so dass nur noch separate Haltung möglich ist, um nicht einen ganzen Bestand zu durchseuchen.

Fazit:

Wie schon gesagt, die mediale Verbreitung der „Taubenpest“ dient wohl dem Zweck, den Menschen in Basel, die eine verstärkte Versorgung von Tauben wegen der Corona-Krise befürworten, möglichst viel Wind aus den Segeln zu nehmen. Denn Fütterer sind den Behörden und Wissenschaftlern Daniel Haag-Wackernagel seit jeher ein Dorn im Auge.

Mit halbgarer Information und besonderer Rhetorik versucht man die Volksstimmung zu manipulieren. Menschen, die sich gar nicht oder nur wenig mit der Materie auskennen, wird Angst gemacht und das alte Vorurteil, dass Tauben Überträger von für Menschen gefährliche Krankheiten seien, neu hochgekocht.

DER SPIEGEL schreibt, die Corona-Krise mildere die Taubenplage

Verkrüppelte Taube hungert in Düsseldorf

Seit meinem letzten Beitrag sind einige Wochen vergangen. Aufgrund von gesundheitlichen Problemen hielt ich mich von den Brennpunkten der Taubenproblematik etwas ferner – besonders aus Diskussionen in Facebook & Co. Allerdings machte ich meine Spaziergänge, hielt die Augen auf und half wo ich nur konnte.

Insgesamt kann ich kaum Positives über den Verlauf der Dinge melden. Mein Brief an Oberbürgermeister Thomas Geisel wurde nicht beantwortet. Meines Wissens nach sind die Behörden vom Fütterungsverbot von Tauben nicht einen Millimeter abgerückt.

Trotz der Petitionen und Aufrufe von PETA, dem Deutschen Tierschutzbund und zahlreichen Aktivisten bleiben die meisten Stadtbehörden und Kommunen in Deutschland stur. Eine rühmliche Ausnahme machte Köln. Dort wurde das Fütterungsverbot gelockert. vielen Dank dafür!!!

Doch kaum denkt man positiver und hofft, dass Corona wenigstens wieder mehr menschliches Mitgefühl bei der Not der geflügelten Stadtbewohner bewirkt, da führt gleich ein kräftiger Schlag auf den Hinterkopf zur besseren Besinnung.

Der Spiegel über die Stadttauben-Not

In zwei Artikeln widmete sich eine Spiegel-Autorin dem Stadttaubenthema zur Corana-Krise. Sie ist im Ressort Wissenschaft und Technik tätig. Ihre Themenschwerpunkte sind Ernährung und Landwirtschaft, Molekularbiologie, Medizin und Tiere.

In Beiträgen geht es nicht um die Not der Tauben, die seit der Schließung des öffentlichen Lebens kaum noch Nahrung finden. Nein, es geht um effektive Bekämpfung der Taubenplage in Corona-Zeiten.

Um diese Haltung zu verdeutlichen, schmückte die Autorin ihren Text mit längst erwiesenen Falschheiten (…ihre Ausscheidungen verätzen die Bausubstanz…- siehe dazu die Studie der Technischen Universität Darmstadt von 2004: Einfluss von Taubenkot auf die Oberfläche von Baustoffen) und abwertenden Phrasen wie „Ratten der Lüfte„.

Verhungerte Taube in Düsseldorf zu Corona
Diese Taube bestand eigentlich nur noch aus Knochen und Federn

Kurzer Check beim Tierschutzverein Augsburg

Und dann diese Recherche: Das Spiegel-Team besuchte Taubenschläge des  Tierschutzvereins Augsburg und lieferte dazu folgende Zeilen:

„Die Tiere werden regelmäßig artgerecht gefüttert, ihre Eier werden ausgetauscht gegen welche aus Plastik. Ich wollte wissen: Lässt sich die Vermehrung der Stadttauben auf diese Weise bremsen?“

Die tägliche Arbeit des Vereins im Taubenschlag und sicherlich dort belegbare Ergebnisse des Eieraustausches werden nicht aufgeführt. Gab es dazu etwa Zahlen, keinerlei verwertbare Information? Das kann ich mir kaum vorstellen. Denn jeder betreute Taubenschlag für akribisch Buch über die Anzahl der Tauben, deren Brutverhalten und bewertet natürlich auch die Wirkung durch den Austausch von Eiern. Auch dazu kein weiterer Kommentar.

Meinungsspiegel in Basel: Futter rein, Eier raus?

Stattdessen besorgt sich die Redakteurin anscheinend wertvollere Erkenntnisse aus der Schweiz! Und zwar von keinem anderen als Daniel Haag-Wackernagel –  auch Biologe und landesweit stark umstrittener Verfechter des Futterentzugs als „einzig wirksame Methode“ für eine erfolgreiche Populationskontrolle von Stadtauben. (siehe Basler Studie).

Im Spiegel werden die tierfeindlichen Schlüsse aus Haag-Wackernagels Tauben-Experimenten mir nichts dir, nichts übernommen.Seine Kommentare gleichen denen der vergangenen Jahre, wie das Beispiel aus der Welt von 2018 vortrefflich zeigt, wo im ähnlichen Tenor die fragwürdigen Erkenntnisse und Behauptungen eines Wissenschaftlers als erwiesenes Wissen verkauft wurde:

Wie man Tauben los wird (WELT/Wissen 2018)

Welch grausame Folgen aus den dort gepriesenen Experimenten in Wahrheit entstehen, haben ich und zahlreiche Düsseldorfer Taubenfreunde mit eigenen Augen miterlebt. Es war eine Tragödie sondergleichen.

Zwei sterbende Jungtauben vom ISS Dome Düsseldorf 2019
Zwei gerettete Jungtauben, die sich aber nicht mehr erholten

Der langsame Hungertod zahlreicher Jungtauben

Vergangenes Jahr im August haben wir am ISS Dome tatenlos zusehen müssen, wie Hunderte von Tauben gefangen und dem Hungertod ausgeliefert waren, weil die Betreiber des ISS Dome sich weigerten, die rund um die Mehrzweckhalle tierschutzwidrig angebrachten Netze zu öffnen. Die Tauben hungerten, doch sie brüteten auch, bis sie starben.

Und ihr Hungertod war wahrlich kein leichter. Das Sterben dauerte lange. Viele quälende Stunden. Manchmal sogar Tage. Die Organe der Taube versagten langsam – nach und nach. Selten half noch eine Elektrolytlösung. Wasser, Brei und Medikamente wurden bald ausgekotzt. Der ganze Raum, in dem wir sie unterbrachten, roch bereits nach Tod und Verwesung. Doch die Tauben hatten noch weiter Schmerzen, sie zuckten und atmeten schwer.

Erst wenn dann endlich der Tod eintritt und ihre kleine Seele den gemarterten Körper verlassen konnte, lösten sich die Krämpfe. Ich habe diesen Prozess mehrere Mail mit eigenen Augen gesehen. Für mich war der Anblick nahezu traumatisch.


Das Video wurde im August 2019 während einer Sterbebegleitung gefilmt

Selektion durch gnadenlosen Futterentzug.

Genau daran bemisst Herr Wackernagel seinen Erfolg: Weniger Tauben durch eine deutliche höhere Sterberate. Diese Methode verstößt in Deutschland ganz klar gegen das Tierschutzgesetz – und  ist für ethisch bewusste Menschen in keinster Weise akzektabel.

An dieser Stelle betone ich nochmals das, was sicher jeder, der sich ernsthaft mit der Stadttaubenproblematik auseinandersetzt, bestätigen wird: Ihren Bruttrieb tragen die Stadttauben in ihren Genen, weil dieser ihnen von Menschen im Laufe von Jahrtausenden angezüchtet wurde.

Futterentzug und Hunger ändern daran kaum etwas. Eher passiert das Gegenteil  Hungrige Tauben brüten noch extremer weiter, die Leidtragenden des Futterenzugs sind die viel zu unterernährten Nestlinge, die qualvoll sterben müssen.

Mehr Infos zur Taubenpopulation

Mein Senf zu beiden Artikeln

Dass dem SPIEGEL in puncto Stadtaubenproblematik nichts Besseres einfällt, als überholte Klischees und Vorurteile erneut hochzukochen, finde ich bei der Not, in die unsere Kulturfolger durch die Corona-Maßnahmen geraten sind einfach nur zynisch. Mehr fällt mir dazu nicht mehr ein.

Besonders traurig macht mich, dass in kritischen Zeiten wie jetzt zur Corona-Pandemie mit minderwertigen Informationen versucht wird, ethisch verwerfliche  Entscheidungen in Stadtbehörden zu rechtfertigen.Derartig unkritische und einseitige Berichte können eigentlich nur veröffentlicht werden, wenn sich Redakteure von finanzkräftigen Interessengruppen zu Handlangern von Krisen-PR degradieren lassen. In meinen Augen ist das reiner Gefälligkeitsjournalismus, von Seriosität keine Spur!

Wer sich die noch die Originale antun möchte, darf unten weiterklicken:

Warum-der-shutdown-die-taubenplage-in-vielen-staedten-mildern-koennte

Tauben in der Corona-Krise bitte nicht füttern

Und wer der  Dame danach einen entsprechenden Kommentar schreiben möchte, kann das hier tun:

E-Mail-Adresse für „Feedback & Anregungen: elementarteilchen [at]spiegel [punkt]de